Spuren des Hl. Jakobus sind nicht nur in Spanien zu finden – natürlich auch im Heiligen Land, wo er als Jünger Jesu Christi an dessen Leben Teilhabe hatte und an seinem Auftrag mitgearbeitet hat. Er gehört mit seinem Bruder Johannes zu den Erstberufenen. Jesus lässt ihn an den bedeutenden Ereignissen seines Lebens teilhaben. Jakobus begleitet ihn mit Petrus und Johannes auf den Berg der Verklärung und wird im Garten Gethsemane Zeuge der Verzweiflung Jesu in Erwartung des zu bestehenden Leidensweges.

Mitglieder der St. Jakobusbruderschaft Trier e.V. unter der geistlichen Leitung ihres Sekretärs und Pilgerbruders Markus sind in der vorösterlichen Fastenzeit den Spuren Jesu und seines Jüngers gefolgt – auf Schusters Rappen, auf dem Weg nach Bethlehem, von Nazareth zum See Genezareth und vom Toten Meer hoch nach Jerusalem. Die Landschaft hat sich in den letzten 2000 Jahren kaum verändert, sodass wir uns außerhalb der Städte in die Zeit Jesu versetzt fühlen. Es ist wirkliches Neuland, das wir betreten. Nicht immer sind die Wege ausgeschildert, sie sind mühsam und müssen erarbeitet werden. Viele denken mit Anspannung an den Abstieg von Nazareth zurück oder an den anstrengenden Aufstieg nach Jerusalem bei ständig wechselndem Klima – mal warm, mal kalt, mal stürmisch. Wir wollen das Umfeld Jesu kennenlernen, seine Lebensverhältnisse und Wege, die er gegangen ist. Wir lesen mit den Füßen, wir lesen im „Fünften Evangelium“, wie die Landschaft Palästinas auch genannt wird. Wer die Landschaft des Hl. Landes erspürt und mit allen Sinnen aufgenommen hat, sieht die vier Evangelien in einem ganz neuen Licht. Bethlehem als Geburtsort, Nazareth als Hort der Kindheit und Jugendzeit, Kapernaum als Wirkungskreis der Mission, die Wüste als Rückzugsgebiet, die Berge als Orte der Gottesnähe und Jerusalem als Ort der Passion und Erfüllung in der Auferstehung. Die Orte liegen eng beieinander, sind aber vom Charakter völlig verschieden. Die Trierer Pilger folgen diesem Bogen und erleben eine kaum zu bewältigende Masse an Eindrücken und Erlebnissen.

Die Neuzeit lässt grüßen. Auf unserem Weg nach Bethlehem kreuzen wir wiederholt den Jerusalemmarathon 2016 mit seinen 10.000 Teilnehmern. Die Stimmung ist euphorisch und auch wir leisten unseren Beitrag an Ansporn und Applaus. Wir erreichen das arabische Dorf Battir mit seinem Weltkulturerbe aus Gartenterrassen und folgen nun einer wahrhaft unberührt pastoralen Landschaft nach Bethlehem. Es geht durch ein schmales bergiges Tal besetzt mit Bergweiden und vielen Olivenhainen und es duftet nach Kräutern und Blumen. Das Hl. Land ist grün und wir dürfen einen lichten Frühling erleben. Auf den Hirtenfeldern feiern wir in einer Felsgrotte, wie sie die Hirten zur Zeit Jesu genutzt haben, im Frühlingsmonat März einen Weihnachtsgottessdienst. Bruder Berthold spielt die Flöte und gibt der Hl. Messe den besonderen Rahmen.

Nazareth ist heute eine Stadt mit 60.000 Einwohnern aus gemischter moslemischer und christlicher Bevölkerung, war aber zur Zeit Jesu als Ort der Verkündigung ein unbedeutender Flecken. Beeindruckend ist heute die katholische Verkündigungskirche mit ihren vielen Mariendarstellungen aus der ganzen Welt als Ausdruck der Aufbruchsbewegung nach dem II. Vatikanischen Konzil, aber noch mehr die griechisch-orthodoxe Gabrielskirche mit ihrer intimen Stimmung und der hinreißend erzählenden Freskenbemalung. Und nicht zuletzt verleiht uns der arabische Markt eine erste Ahnung des Treibens in den Gassen von Jerusalem. Wir bewältigen den schwierigen Abstieg vom hoch gelegenen Nazareth, um – wie im Bergland üblich – gleich wieder aufzusteigen zur ehemals schönsten Stadt Galiläas, dem antiken Sepphoris. Es geht erneut durch eine angenehme Frühlingslandschaft, die Grundfarben bilden das grüne Gras und die ausgedehnten gelben Flächen der Senfpflanzen. Farbige Tupfer aus wilden Alpenveilchen und anderen nicht bekannten Blumen vervollständigen den Blütenteppich. Im heutigen Zippori herrschte zur Zeit Jesu rege Bautätigkeit. Es darf angenommen werden, dass Jesus und sein Pflegevater Josef dort als Bauleute tätig waren. Der weitere Weg führt uns nach Kana, dem Ort des Weinwunders und der ersten Selbstoffenbarung Jesu. Gegen Abend finden wir unsere Herberge bei einer christlichen Araberfamilie. Suad und Sami haben ihr Haus geräumt, um unsere Gruppe von 26 Pilgern aufzunehmen. Das Wohnzimmer dient als Speisesaal, in dem die Familie ein köstliches arabisches Menü serviert. Die Aufnahme ist sehr herzlich und der Abschied ebenso anrührend.

Wir ziehen weiter, uns zieht es an den See Genezareth und wir folgen einem Weg, den Jesus sicher wiederholt gegangen ist. Die Landschaft bleibt frühlingshaft schön, das Wetter sonnig und es ist eine Lust zu pilgern. Vor uns liegen die „Hörner von Hattin“ – für die Christenheit ein Ort des Unglücks und der Besinnung. Das Kreuzfahrerheer unter König Guido wird 1187 von Sultan Saladin vernichtend geschlagen und völlig aufgerieben. Das durch die Hl. Helena aufgefundene Kreuz Jesu Christi wurde dem Heer vorangetragen und geht in der Schlacht verloren. Es ist der Anfang vom Ende, das Ende der Kreuzfahrerzeit im Heiligen Land. Der Weg lenkt uns ins Wadi Chamam, besser bekannt als Taubental. Es geht steil bergab durch ein blühendes aber immer enger werdendes Tal in einem wahren Farbenrausch aus Gelb, Blau und Rot. Furten sind zu überqueren und tiefe Höhlen durchlöchern die seitlichen Felswände. Und schon liegt der See vor uns und gibt den Blick nach Jordanien frei – der See Genezareth,  209 Meter unter dem Meeresspiegel, unser heutiges Tagesziel. Wir besuchen Migdal und feiern in Erinnerung an Maria von Magdala, Begleiterin Jesu und Zeugin der Auferstehung, die Hl. Messe. Der Blick auf den See gibt der Feier eine besondere Würde. Bis zum Gästehaus ist es noch ein gutes Stück, doch kaum einer lässt es sich nehmen, nach der langen Tagesetappe auch dieses Stück Weg am See entlang zu Fuß zu gehen.

Nach mehreren Tagen Wanderung ist Entspannung und Ruhe angesagt. Wir genießen die Zeit in Kapernaum am Nordende des See Genezareth. Kapernaum ist damals eine wohlhabende Grenz- und Garnisonsstadt mit Zollstation, Fischereihafen und Getreidemühlen. Hier ist das Hauptquartier Jesu, hier ist das Haus des Petrus, hier werden die ersten Jünger berufen, hier geschehen die Heilungen und Wunder, hier erfüllt sich die Mission Jesu. „Talitha cumi!“. Mit diesen Worten erweckt er die Tochter des Synagogenvorstehers Jairus. Wir beginnen den Tag auf dem Berg der Seligpreisungen und erinnern die Grundlagen der Lehren Jesu. Ein angenehmer Fußweg führt uns hinab nach Tabgha, wir gedenken der wunderbaren Brotvermehrung und feiern unsere Tagesmesse unter freiem Himmel am See. Leider hat die Brotvermehrungskirche im vergangenen Jahr einen schweren Anschlag jüdischer Extremisten erlitten. Die Schäden und Brandspuren sind noch nachweisbar. Nebenan zeigt die russisch-orthodoxe Kirche mit ihren Ikonen und herrlichen Fresken eine bessere Welt und lädt am stillen Ufer des Sees zur Meditation ein. Zur Mittagszeit wird der St.-Petrus-Fisch serviert. Er ist sehr schmackhaft jedoch mit Gräten belastet. Aber mit ein wenig Geschick ist auch diese Unannehmlichkeit zu bewältigen. Unübersehbar erhebt sich der Berg Tabor über eine weite Ebene empor. Er ist ein Ort der Gottesnähe. Hier wird Jesus vor seinen Jüngern verklärt und Jakobus darf seinen Herrn begleiten. Zum Abschluss des Tages erreichen wir mit 422 Metern unter dem Meeresspiegel das Tote Meer. Unsere Nacht verbringen wir im Kibbutz Almog an der Nordspitze des Meeres unter neuen klimatischen und landschaftlichen Verhältnissen. Wir befinden uns in einer unsicheren Region, die Anlage ist militärisch gesichert und wird bewacht.

Nur wenige Kilometer weiter – und schon sind wir in der Judäischen Wüste, einem Trockengebiet zwischen den Höhen Jerusalems und dem Jordangraben. Beim Kibbutz startet unsere Pilgerwanderung nach Jerusalem. 1248 Höhenmeter sind zu überwinden, in drei Tagen soll durch die Wüste der Skopus Berg über Jerusalem erreicht sein. Am frühen Morgen steigen wir die Abbruchkannte des Jordangrabens hinauf und folgen der antiken Zuckerstraße nach Westen, passieren die ehemalige Karawanserei Nabi Musa mit ihren Beduinengräbern und folgen dem Wadi Og. Es ist gutes Pilgerwetter, Dunst verhüllt die Sonne und starker Wind kühlt, sodass die Hitze erträglich bleibt. Über Jerusalem regnet es. Das zeigt ein Regenborgen an, der die Wüste vor uns weit überspannt. Wir begegnen den Beduinen mit ihren Ziegenherden und lagern an den antiken Zisternenanlagen am Bir el Malki zur Mittagsrast. Unser Scout Sharon hat einen Kocher dabei und serviert uns nach der dem Imbiss einen arabischen Kaffee mit Kardamom. Er ist gewöhnungsbedürftig, aber eine belebende Köstlichkeit. Die Hl. Messe feiern wir bei Sturm und Wind in der Wüste – ein neues unvergessliches Erlebnis. Abends gönnen wir uns ein Schlammbad und das Schweben auf dem Wasser des Toten Meeres. Leider ändern die Wetterbedingungen unsere Pläne für die nächsten beiden Tage. Wegen Überflutungsgefahr können wir das geplante Wadi nicht gehen und müssen eine Alternativroute wählen. Wir erleben das an einer Felsklippe klebende griechisch-orthodoxe Georgkloster im Wadi Kelt. Überhaupt ist die Judäische Wüste ein Hort sehr früher Klöster. Über sechzig Einrichtungen soll es in dieser Einöde gegeben haben. Wir folgen dem Wadi entlang einer Wasserleitung bis zur Quelle und dürfen erneut eine Hl. Messe unter freiem Himmel feiern. Aber noch liegt der Jerusalem mit 826 Metern über uns, die es zu bezwingen gilt. Am nächsten Tag erklimmen wir dann tatsächlich die Ostflanke des Ölbergs. Der Aufstieg ist anstrengend, aber die überwältigende Aussicht über das Kidrontal und die Altstadt Jerusalems entschädigt für alle Mühen. Bald schon ist Palmsonntag – die Christen rüsten sich zur Palmprozession. Ein langer Zug glücklicher Menschen jeden Alters aus aller Welt zieht musizierend, singend und palmwedelnd den Ölberg hinab. Wir dürfen teilnehmen und fühlen uns als Glieder der Weltkirche: „In deinen Toren werd ich stehen, du freie Stadt Jerusalem. In deinen Toren kann ich atmen, erwacht mein Lied.“ (Gotteslob 840). Wir passieren den Garten Gethsemane, steigen hinab ins Kidrontal und ziehen durch das Löwentor nach Jerusalem ein. Den Palmsonntagsgottesdienst mit der Leidensgeschichte des Herrn erleben wir in der Dormitio-Kirche, ein Geschenk Kaiser Wilhelms II. an die deutschen Katholiken.

Bereits am Vortag frühmorgens um 5 Uhr in aller Stille – die Gassen Jerusalems sind menschenleer – begeben wir uns in die via dolorosa, beten den Kreuzweg unter der Leitung unseres Bruders Hans, ersteigen den Berg Golgatha und folgen Jesus bis zu seinem Grab. Wir haben Glück und dürfen die Eucharistie in der Grabkammer feiern. Es sind Glücksmomente, die niemand erwartet hat. Die Messfeier ist ein ergreifendes spirituelles Erlebnis, das jeder bis zu seinem eigenen Tod mitnehmen wird. Gleichzeitig ist es der Ort der Auferstehung, der uns neues Leben bei Gott verheißt.

Karfreitag, den 25. März 2016

Günter Willenborg, Trier-Irsch