Als Pilger unterwegs zwischen Küste, Wüste und Hochgebirge

Unser Spiritual Martin Lörsch berichtet über seinen Weg auf dem mozarabischen Jakobsweg von Almería nach Granada.

Wer einmal den Reiz des Pilgerns auf dem Jakobsweg nach Santiago entdeckt hat, muss damit rechnen, vom Pilgervirus angesteckt zu werden, der dann immer wieder ausbrechen kann. So ist es auch mir in diesem Jahr wieder ergangen, denn zum dritten Mal habe ich mich zum zweiwöchigen Pilgern auf dem Camino entschieden. Dieses Mal sind es drei Motive, die in mir die Entscheidung reifen ließen, im Oktober trotz meiner vielfältigen Aufgaben den Rucksack zu packen und nach Spanien aufzubrechen.

Quelle der Karte: Andreas Voth, in: St. Jakobusbruderschaft Trier (Hg.), Pilgern auf Jakobswegen im Wandel, Würzburg 2023, 179.

* Mit der Pilgerreise wollte ich – wie in den beiden Jahren zuvor – körperlich, seelisch und geistlich auftanken, Abstand gewinnen und den Kopf freibekommen. Denn die zurückliegenden Wochen waren ziemlich anstrengend gewesen, daher verband ich mit dem Pilgern die Hoffnung, die Belastungen, Sorgen und Probleme, aber auch die Anliegen, die Menschen mir auf die Reise mitgegeben hatten, gleichsam „unter die Füße“ zu nehmen.

* Das zweite Motiv verdanke ich Prof. Andreas Voth aus Aachen. Gemeinsam mit ihm hatten wir als Jakobusbruderschaft im Jahr 2023 das Buch veröffentlicht: „Pilgern auf Jakobswegen im Wandel“. Darin hat er einen Beitrag verfasst mit dem Titel: „Wiederbelebung von Jakobswegen in Andalusien: Camino Mozárabe von Almeria nach Granada“ (S. 177-199). Die Beschreibung dieses Pilgerweges mit seiner Geschichte, die bis in die Anfänge der Christianisierung der iberischen Halbinsel am Ende de 1. Jahrhunderts zurückreicht, las sich für mich wie eine Einladung, diesen Weg nun auch selbst zu erkunden. Vom Wort „Mozarabisch“, d.h. „unter den Arabern lebend“ abgeleitet versteht sich der „Camino Mozárabe“ als Pilgerweg, der durch eine Region Andalusiens führt, in der Christen mehr als 700 Jahre unter dem Einfluss arabischer Herrschaft und Kultur standen.

* Schließlich hatte ich den Wunsch, Pfr. Heinz Brubach, Gründungsmitglied und erster Spiritual unserer St. Jakobusbruderschaft nach Jahren der Unterbrechung wieder zu besuchen und mich mit ihm auszutauschen. Dieser lebt seit vielen Jahren in der Nähe von Málaga.

So bin ich am Sonntag, 13. Oktober 2024 von Luxemburg nach Málaga geflogen und weiter mit dem Fernbus nach Almería gereist. Dort erwartete mich am Abend Nely von der Jakobusgesellschaft Almería-Granada, um mich auf den Pilgerweg einzustimmen und mit mir die Handy-Daten für Notfälle und die Übermittlung der Codenummern der einzelnen Selbstversorger-Pilgerherbergen entlang des Weges auszutauschen. Bereits diese erste Begegnung mit Ihr und ihren Freunden ist von großer Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft geprägt.

Mein Pilgerweg von Almería nach Granada im Überblick

Der spanisch-englische Pilgerführer „Guía del Camino Mozárabe de Santiago de Almería a Mérida“, der mir von der Asociación Jacobea de Almería-Granada Camino Mozárabe“ als pdf-Datei1 zur Verfügung gestellt worden ist, empfiehlt für die ca. 200 km von Almería nach Granada neun bis zehn Tage.

1. MO, 14.10.: Etappe: Almería – Rioja – Santa Fe de Mondujar

Am Montagmorgen starte ich an der Jakobuskirche von Almería (die Kathedrale, den eigentlichen Ausgangspunkt dieses Camino, hatte ich bereits am Vorabend besucht). Der Weg führt aus der Stadt heraus und dann durch das trockene Flussbett des Rio Andarax sowie über relativ leicht begehbares hügeliges Gelände. Am Abend treffe ich in Santa Fe de Mondujar ein und beziehe Quartier in einer privaten Herberge. Dort lerne ich Michael kennen, einen australischen Pilger, und schaue mit ihm gemeinsam im Fernseher das Fußballspiel der UEFA-Nations-League: Spanien gegen Dänemark (1 : 0). Michael wird mich am folgenden Tag und bis Mittag des übernächsten Tages begleiten. Von da an werde ich bis Granada alleine unterwegs sein.

2. DI, 15.10.: Santa Fe de Mondujar – Alboloduy

Bereits bei der zweiten Etappe am Dienstag geht es steil bergauf und auf der anderen Seite des Hügels wieder bergab. Von dort folgen wir dem Rio Nacimiento, der mich auch an den weiteren Tagen begleitete. Tagesziel war die Herberge der Kleinstadt Alboloduy. Dort erwartet uns Linda, eine englische Hospitalera um Mitte 60 mit großer Herzlichkeit. Gemeinsam mit ihr bereiten und genießen wir ein Abendessen aus dem, was ihr Kühlschrank und meine letzten Vorräte hergaben. Landschaftlich werden wir hier bereits in die Gebirgslandschaft eingestimmt, die mich an bis nach Granada begleiten wird. Gegen 21.30 Uhr trifft die Bürgermeisterin Sonia ein. Ich übermittele ihr die Grüße von Prof. Voth, mit dem wir spontan noch ein kurzes Telefonat führen. In einem interessanten Gespräch tauschen wir uns danach über ihr Engagement zur Entwicklung dieser ländlichen Region aus.

3. MI, 16.10.: Alboloduy – Nacimiento – Ocaña

Bereits bei der zweiten Etappe am Dienstag geht es steil bergauf und auf der anderen Seite des Hügels wieder bergab. Von dort folgen wir dem Rio Nacimiento, der mich auch an den weiteren Tagen begleitete. Tagesziel war die Herberge der Kleinstadt Alboloduy. Dort erwartet uns Linda, eine englische Hospitalera um Mitte 60 mit großer Herzlichkeit. Gemeinsam mit ihr bereiten und genießen wir ein Abendessen aus dem, was ihr Kühlschrank und meine letzten Vorräte hergaben. Landschaftlich werden wir hier bereits in die Gebirgslandschaft eingestimmt, die mich an bis nach Granada begleiten wird. Gegen 21.30 Uhr trifft die Bürgermeisterin Sonia ein. Ich übermittele ihr die Grüße von Prof. Voth, mit dem wir spontan noch ein kurzes Telefonat führen. In einem interessanten Gespräch tauschen wir uns danach über ihr Engagement zur Entwicklung dieser ländlichen Region aus.

Am Mittwoch, dem dritten Tag, führt der Pilgerweg zunächst durch den Fluss Nacimiento. Dann geht es auf einem schmalen Bergpfad steil aufwärts – zunächst begleitet von einem jungen Kätzchen, um nach der Überquerung einer Passstraße auf einem Schotterweg wieder ins Tal hinabzusteigen, vorbei an einem Ruinendorf, bis wir nach Mittag im Ort Nacimiento eintreffen. Nach einer kleinen Stärkung in einer Bar verabschiede ich mich von meinem Begleiter Michael, denn dieser muss aufgrund starker Schmerzen im Knie eine Pause einlegen (und wenig später seine Pilgerreise ganz abbrechen). Alleine laufe ich am Nachmittag bei ca. 28 Grad in der Sonne weiter. Selten habe ich mich so sehr auf den Schatten der wenigen Bäume am Wegesrand gefreut, die für einige Sekunden Kühlung bringen. Am Abend treffe ich im Dorf Ocaña ein, wo die Herberge in einem Klassenzimmer der ehemaligen Volksschule untergebracht ist.

4. DO, 17.10.: Ocaña – Abli – Huéneja

Am Donnerstag führt mich der Weg zunächst in die Kleinstadt Abli, wo ich mein Frühstück einnahm. Dann geht es auf dem historischen „Camino Real“ (Königspfad), einer abwechslungsreichen Strecke aus Schotterpiste, Flussläufen und Maultierpfad, nach Huéneja. Oberhalb des Ortes finde ich die Herberge, einst wohl eine Lehrerwohnung der örtlichen Schule.

5. FR, 18.10.: Huéneja – Ferreia – Alquife

An diesem Freitag denke ich an den 100. Geburtstag meine Mutter, sie verstarb am 30.12.2022. Am Morgen breche ich von der Herberge aus in Richtung Dolar auf in der Hoffnung, dort in einer Bar zu frühstücken. Aber diese ist vor einem halben Jahr geschlossen worden. Nach einer weiteren Stunde kann ich das in Ferreia nachholen und in der Bar Kaffee, Toast und Orangensaft genießen. In diesem Ort stoße ich auf historische Gebäude aus muslimischer Zeit. Durch hügeliges Gelände geht es dann weiter nach La Calahorra; dort wird mit einer Statue und Plakaten an Western erinnert, die in dieser Region gedreht worden sind (Castell, Palast und Kirche). Ein Feldweg führt am stillgelegten Bergwerk „Minas de Marquesado“ und an einer Reihe leerstehender Häuser vorbei nach Alquife. Am Ende des Ortes liegt die private Pilgerherberge von Manuel, in der ich eine Unterkunft finde. Die Kälte, die ich am Abend spüre, erinnert mich an die Höhe, auf der ich mittlerweile auf dem Pilgerweg angekommen bin.

6. Sa, 19.10.: Alquife – Congollos – Guadix

Am Samstag, der fünfte Tag, führt mein Weg von Alquife in hügeligem Gelände – vorbei an den „Minas de Santa Constanza en Jérez des Marquesado“, deren Geschichte bis in die Römerzeit zurückreicht. An diesem Tag denke ich an die ersten Missionare, die nach der Überlieferung bereits Ende des 1. Jahrhunderts die iberische Halbinsel missioniert haben, und die in Guadix das Martyrium erlitten habe.

Auf dem Pass gönne ich mir eine kleine Pause und entdecke in der Landschaft eine ganze Reihe von großen Schweinemastbetrieben. Später begegnen mir immer wieder weiträumige Gemüseplantagen mit modernen Bewässerungssystemen. Am Nachmittag nähere ich mich auf staubigen Wegen immer mehr der Hochebene von Guadix. Beim Betreten der Stadt begegnen mir zuerst die bekannten Höhlenwohnungen, dann erreiche ich das Zentrum  mit Plaza und Kathedrale. Nach einer kleinen Rast entscheide ich mich für die Besichtigung, bei der ich auch den Stempel für mein Pilgerbuch erhalt. Zwischenzeitlich meldet sich Paco vom Vorstand der örtlichen Jakobusgesellschaft und teilt mir mit, dass an diesem Wochenende alle Herbergen ausgebucht sind. Nach mehreren Anläufen gelingt es ihm, für mich in Guadix ein preiswertes Zimmer im Hotel Mari Carmen zu buchen. Am Abend besuche ich die Vorabendmesse in der Jakobuskirche und treffe mich anschließend mit der Vorsitzenden Mercedes und Paco auf der Plaza; es kommt zu einer herzlichen Begegnung mit einem gemeinsamen Abendessen. Als Zeichen ihrer Aufmerksamkeit stempeln sie mir das Pilgerbuch mit echtem Siegellack. Schließlich fährt Mercedes in ihrem Mercedes mich ins Hotel zurück.

7. SO, 20.10.: Guadix – Purullena – La Peza

Der Sonntagsweg führt mich zunächst aus der Stadt heraus, umgeben von eigenartigen Felsformationen. In Purullena genieße ich – unter dem Glockenklang der örtlichen Martinskirche – das Frühstück. In den weiteren Ortschaften, durch die ich an diesem Tag pilgere, treffe ich immer wieder auf Felsenwohnungen. Es geht dann weiter über Marchal, Los Baños und Graena. Am Ende des Ortes führt der Weg wieder steil aufwärts. Auf der Höhe angekommen und schon ziemlich müde erwartet mich eine Straßenpassage, die zunächst in eine Senke und dann serpentinenförmig wieder aufwärts führt. Von dort geht es auf einem Fußweg nach Pesa hinab. Die Herberge für diese Nacht befindet sich in einem Gebäude neben der Sporthalle und dem Schulgelände.

8. MO, 21.10.: La Peza – Tocón de Quentar

Heute denke ich an den Todestag meines Vaters am 21.10.2010. Ich starte mit einem leckeren Frühstück (Bocadillo), das so reichhaltig ausfällt, dass ich mir den Einkauf für das Abendessen in Tocón spare. Unmittelbar hinter der Kirche führt der Weg etwa anderthalb Stunden ununterbrochen aufwärts ins Gebirge bis auf circa 1300 Meter Höhe. Dabei bin ich weitgehend der Sonne ausgesetzt. Auf der Passhöhe treffe ich auf eine Weggabelung. Auf Empfehlung von Prof. Voth entscheide ich mich für die Fortsetzung in Richtung Tocón de Quentar. In der Ortsmitte treffen ich auf eine kleine, gepflegte Herberge. Ich öffne Türen und Fenster, damit die Nachmittagssonne die Räume wärmen kann. Wegen der frühen Ankunft habe ich viel Zeit zum Lesen, zum Meditieren und Ausruhen. In der Herberge entdecke ich einen Stapel der Zeitschrift „Camino“ der spanischen Pilgergesellschaft. Mit Interesse studiere ich vor allem die soziologischen Daten und Kommentare zum Jakobsweg. Da die Bar geschlossen ist, koche ich mir aus Tütensuppen, die Pilger vor mir zurückgelassen haben, eine leckere Gemüsesuppe und genieße den Rest meiner Bocadillo vom Frühstück.

9. DI, 22.10.: Tocón de Quentar – Quentar

Am Dienstag, dem neunten Tag, führt der Camino aus dem Ort zunächst am Bach entlang bis zur Straße nach Quentar, die ich überquere. Dann geht es wieder über Stunden aufwärts, zunächst zwischen Gestrüpp und Bäumen, und dann auf einem Fahrweg, der mich auf 1400 Meter bringt. Immer wieder halte ich an, um den wunderbare Panoramablick mit den Gipfeln der Sierra Nevada zu genießen. Auf der Höhe treffe ich auf einen still gelegten Steinbruch, von dort geht es dann auf einem Schotter- und Felsenweg abwärts nach Quentar. Beim Abstieg begegnen mir zwei ältere Mountainbiker, die mir stolz die Gipfel (exponiert der Pico de Valetta) dieser einzigartigen Berglandschaft erläutern. Gegen 14:00 Uhr treffe ich in Quentar ein und stehe vor dem Hotel, in dem Nely bereits am ersten Abend ein Zimmer für mich gebucht hatte. Doch das Haus ist geschlossen, so suche ich eine Bar auf und lege eine Kaffee-Pause ein. Endlich, nach Stunden des Wartens, öffnet um 17:00 Uhr das Hotel, und ich kann mein Zimmer beziehen. Da in der Stadt aber keine Bar offen ist, kaufe ich im Supermarkt die Zutaten zu meinem Abendessen, das ich in meinem Hotelzimmer einnehme.

10. MI, 23.10.: Quentar – Granada

Zehnter Tag: Heute laufe ich den letzten Abschnitt auf meinem Pilgerweg. Er beginnt mit einem angenehmen Saumpfad, der in das nächste Dorf Dudar führt. Am Ortsausgang geht es noch einmal ca. zwei Stunden ununterbrochen aufwärts. Doch der Anstieg wird belohnt mit dem eindrucksvollen Panoramablick auf die Sierra Nevada. Unterwegs treffe ich auf eine holländische Familie und komme mit ihr in einen kurzen Plausch. Immer häufiger treffe ich auf Mountainbiker, die mir mit hoher Geschwindigkeit entgegenkommen, Nely wird mir später den Grund erläutern: Am folgenden Wochenende findet in Almería ein Bergrennen statt, für das diese trainieren. In einer Schutzhütte, in der ich eine Rast einlege, stellt sich zum ersten Mal auf dem Weg Wehmut ein, da meine Pilgertour an diesem Tage enden wird.

Ich nähere mich der Stadt Granada, pilgere durch die Vororte. Und dann ein erster Blick auf die Alhambra. Immer mehr Touristen füllen die Straßen. Unterwegs spricht mich Daniél, ein Pilger aus Frankreich, an und erklärt mir auf meine Rückfrage den Weg zur Pilgerherberge San Bernardo. Doch zunächst führt mich der Weg über die Touristenstraße Rio Darro, die Plaza Nueva und dann über die Calle Los Reyes Catolicos zur Kathedrale. In der Sakramentskapelle finde ich die Ruhe, den Pilgerweg in guter Weise abzuschließen. Dann gehe ich zum Eingang der Kathedrale, wo ich an der Kasse den Pilgerstempel und das Ticket für den kostenlosen Eintritt erhalte. Dann laufe ich zurück zur Pilgerherberge der Zisterzienser San Bernardo, wo mich die Hospitalera Elisabeta empfängt. Nach dem Duschen und Waschen der Kleidung entscheide ich mich für die Teilnahme an der Vesper auf der Empore der Klosterkirche, und treffe dabei auf Zisterzienserinnen aus verschiedenen Klöstern Spaniens, die dort zu einer Konferenz zusammengekommen sind. Danach belohne ich mich mit einem gepflegten Abendessen in einem benachbarten Restaurant.

DO, 24.10.: Granada entdecken

Am nächsten Tag und dem Ende der Pilgerreise nehme ich mir Zeit, in Ruhe Granada zu entdecken. Am frühen Morgen steige ich auf dem Fußweg zur Alhambra auf, die ich von außen besichtige (die weitläufige Anlage habe ich vor vielen Jahren mit Pfr. Brubach besucht). Dann suche ich eine Bar für das Frühstück auf. Um 10.00 Uhr nehme ich an der Eucharistiefeier im Kloster teil und werde anschließend (anlässlich der Verabschiedung der Schwestern) zu einem Empfang mit leckeren Süßigkeiten und Likör eingeladen. Danach breche ich zur Kathedrale auf und nehme mir viel Zeit für die Besichtigung. Dann erkunde ich den Weg zum Bahnhof von Granada am Rande der City, und auf dem Rückweg kaufe ich die und Souvenirs ein, um dann eine Siesta in der Herberge einzulegen. Am Nachmittag folgen dann die Besichtigung der Capilla Real und des Archäologisch-Ethnologischen Museums in der C. Rio Darro, in der Nähe der Herberge.

Im Laufe des Nachmittags treffen in der Herberge so viele Pilger ein, dass diese schließlich bis auf den letzten Platz gefüllt ist (am Vortag waren wir zu Dritt). Unter ihnen treffe ich auf einen Pilger aus der Schweiz im Alter von etwa 50 Jahren; mit ihm komme ich in der Küche der Pilgerherberge in ein intensives persönliches Gespräch. Daraus ein kleiner Auszug:

»Wohin mit meiner Trauer, meiner Ohnmacht, meiner Not? – Von diesen Fragen wurde ich regelrecht überschwemmt, als vor vier Jahren meine damals 16-jährige Tochter die Diagnose »Multiple Sklerose« (MS) erhielt. Als ihr Vater stand ich ohnmächtig daneben, konnte nichts tun, die Diagnose nicht rückgängig machen, ihr Schicksal nicht wenden. Ich war wie gelähmt, bis mir geraten wurde: ‚Geh den Camino, das wird dir gut bekommen!‘ So kam ich zum Pilgern. Ich entschied, den Camino Francés von St. Jean-Pied-de-Port nach Santiago de Compostela zu laufen. Und in der Tat: Auf dem Camino lösten sich mit jedem Schritt mehr und mehr meine inneren Blockaden. Eine zuvor nicht gekannte Energie begann zu fließen, so dass ich täglich weite Strecken laufen konnte. Wo immer möglich machte ich Halt in einer Kirche, um eine Kerze für meine Tochter zu entzünden und an sie zu denken.«

Fazit und Empfehlungen

Der Camino Mozárabe hat mich aufgrund der Vielfalt der landschaftlichen Kontraste zwischen Küste, Wüste und Hochgebirge fasziniert. Diese andalusische Landschaft mit den Ortschaften und Städten, durch die man als Pilger unterwegs ist, erzählen von einer langen und wechselhaften Geschichte, die bis in die Frühgeschichte der Menschheit zurückreicht. Allenthalben begegnet man ihren Spuren: Römerzeit und Völkerwanderung , die lange Epoche muslimischer Herrschaft, die (Rück-)Eroberung/ Reconquista durch die katholischen Könige, die Neuzeit, das bewegte 20. Jahrhundert mit den bis heute nachwirkenden blutigen Spuren des Spanischen Bürgerkriegs und der Franko-Diktatur und bis die Gegenwart.

Beeindruckt hat mich vor allem die Gastfreundschaft und Herzlichkeit meiner Ansprechpartner der Jakobusgesellschaft Almería-Granada. Sie haben mich auf meinem Weg verlässlich und zugewandt betreut und begleitet. In den zehn Tagen unterwegs habe ich mich selbst auf den einsamen Wegabschnitten nicht unsicher gefühlt. Guten Gewissens kann ich den Camino Mozárabe als eine Alternative zu den teilweise überlaufenden Strecken im Norden Spaniens empfehlen.

Wie nie zuvor konnte ich diese Zeit als einen geistlichen Weg gestalten und erfahren. Dabei habe ich mit Gewinn die Impulse „Pilgern. Hineinlaufen in Gottes Gegenwart“ (Taschenbuch des Jesuitenbruders Michael Hainz SJ, erschienen im Echter Verlag Würzburg 2013) meditiert.

Auf dem Weg von Almería nach Granada habe ich 200 von 1.400 Kilometern auf dem Camino Mozárabe, d.h. ein Siebtel der Wegstrecke bis Santiago de Compostela, zu Fuß zurück gelegt. Vom Pilgervirus angesteckt ertappe ich mich bereits heute dabei, für das kommende Jahr den zweiten Abschnitt zu planen, der mich (so-Gott-will) dann von Granada nach Cordoba und darüber hinaus führen wird.

Pfr. Dr. Martin Lörsch

Spiritual der St. Jakobusbruderschaft Trier e.V.

1 vgl. MOZARABISCHER WEG VON SANTIAGO DE ALMERIA NACH GRANADA. ELIAS VALIÑA AWARD 2019: AKTUALISIERUNG DES REISEFÜHRERS FÜR DEN MOZARABISCHEN WEG VON ALMERÍA NACH MÉRIDA (26.11.2024).