„Der Mensch wird von Gott den Weg geführt, den er wählt.“

Unser Spiritual Martin Lörsch berichtet von seinem Camino


Wenn ich auf die Vorbereitung und den Start meines Pilgerwegs zurückblicke, bietet sich dieses Motiv wie eine Überschrift für diese Zeit an. Es hat mich in den letzten Tagen immer stärker angesprochen und berührt.

Mein Camino hat bereits mit dem Palmsonntag begonnen. Seit dem 10.04. nehme ich die Gebetstexte und Lieder sowie Ostergrüße und Prospekte mit anderer Aufmerksamkeit wahr.

Hier nur einige Kostproben:

Das Schlussgebet des Palmsonntags: „Gib uns durch seine Auferstehung die Gnade, das Ziel unserer Pilgerschaft zu erreichen.“
Während der heiligen Woche erhalte ich das Programm der Heilig-Rock-Tage 2022 mit dem Motto: „Mache dich auf!“.

Einen Tag später der Osterbrief eines Freundes aus Hildesheim mit den Prospekten zum Godehardjahr 2022/23: „Glauben geht. Go!“

Ganz stark hat mich in der Karwoche ein Gedicht von Andreas Knapp berührt: Pilgerwegweisung. Darin heißt es in einer Strophe:„… Solange du anderen etwas nachträgst, gehst du noch nicht deinen eigenen Weg.“ (A. Knapp, Würzburg 2020, 47)

Von Tag zu Tag ist dann die Spannung in mir angestiegen, und Fragen sind in mir aufgekommen: Habe ich mich ausreichend auf die Reise vorbereitet, sind alle wichtigen Aufgaben abgeschlossen, um den Kopf frei zu bekommen, habe ich den Rucksack gut gepackt und werde ich diese Strecke körperlich meistern?
Drei Tage nun bin ich schon auf dem Camino von Astorga aus unterwegs und bin zum Zeitpunkt dieses Berichts in der Herberge in Ponferrada „Nikolaus von der Flüe“. Schon jetzt kann ich sagen: Dieses jüdische Weisheitswort: „Der Mensch wird von Gott den Weg geführt, den er wählt“ hat es in sich. Bereits beim Landeanflug auf Santiago, wo ich angekommen bin, wurde mir mit einem Regenbogen ein Zeichen für den Weg mitgegeben. Am nächsten Tag dann in der Eisenbahn nach Astorga: eine Zufallsbegegnung mit einem interessanten Gespräch mit einem Fremden, der in mir einen Pilger erkannte.
Mit großer Herzlichkeit wurde ich in der Herberge von Astorga von den Herbergs­eltern begrüßt und wie in alter Freundschaft in die Gemeinschaft aufgenommen. Am Abend dann gab es eine Begegnung mit dem Präsidenten Juan Carlos und seinem Schatzmeister Stefan, bei der wir unsere Partnerschafts­beziehung, die wir vor zehn Jahren unterzeichnet haben, noch einmal bestätigt und bekräftigt haben. In diesem Gespräch wurden aber auch die Sorgen ernsthaft miteinander ausgeteilt: seit dem Corona-Einbruch sind auch die Helfer weggebrochen. Jetzt machen sie sich Sorgen um die Überlastung der Herbergseltern, die mit einer immer größeren Zahl von Pilgern alleine zurechtkommen müssen. Dabei ist zu bedenken, dass die Herberge in Astorga mit zu den großen Einrichtungen auf dem Weg gehören und über 140 Personen fest und weitere zehn Personen auf Notbetten untergebracht werden können.

Weitere Gesprächsthemen waren dann aber auch die Frage um die Zukunft der Kirche und die Chancen, die die Pilger pastoral auch für eine Zukunft der Kirche und die Gestalt der Kirche bedeuten könnten. Nicht zuletzt kam auch das Thema zur Sprache: Wie geht Kirche mit der immer größer werdenden Zahl von Menschen um, die als Sinnsucher, als Menschen mit Themen ihres Lebens, aber ohne einen religiösen oder kirchlichen Hintergrund auf dem Camino unterwegs sind? Diese und weitere Themen haben sich in konkreten Begegnungen der letzten drei Tage bestätigt.