Unterwegs als Pilger auf dem Jakobsweg – Teil 2

von unserem Spiritual Martin Lörsch


Seit 10 Tagen bin mittlerweile unterwegs. In diesem neuen Beitrag möchte ich zu drei Themen meine Erlebnisse, Erfahrungen und Meditationen auf dem Weg mitteilen: Erfahrung mit diesem besonderen europäischen Weg, Aufnahme in den Herbergen und synodale Wege der Kirche in die Zukunft.


Auf dem Camino pilgern, das heißt: aufbrechen, gehen, ankommen, jeden Tag aufs Neue. Nur wer früh am Morgen startet und sich auf diesen Rhythmus einlässt, kommt zum Ziel. Manche sagen: „Der Weg ist das Ziel.“ An dieser Aussage ist etwas Wahres, aber ich kann ihr nur bedingt zustimmen, denn für mich ist Santiago das Ziel des Camino. Alle paar hundert Meter erinnern Markierungssteine mit dem gelben Pfeil, welche Entfernung man noch bis zur Kathedrale von Santiago zurückzulegen hat. Und dennoch kommt dem Weg eine eigene Bedeutung zu. Er fasziniert, fordert heraus und bringt mich mit meinen eigenen Grenzen in Kontakt. In diesem Sinne lehrt, erzieht und lockt der Camino – auch Pilgerinnen und Pilger, die den Weg nicht mit einer religiösen Vorprägung gehen. Somit ermöglicht er ein Sich-Verstehen über konfessionelle, religiöse, nationale und andere Grenzen.


Am frühen Morgen den Rucksack schultern, nach den Wanderstöcke greifen und losgehen. Das ist jedes Mal faszinierend für mich, gerade dann, wenn man am Nachmittag zuvor müde und erschöpft die Herberge erreicht hat.
Das Dorf oder die Stadt hinter sich lassen und in den eigenen Pilgerrhythmus einschwingen. Über stille Waldwege gehen, und die Wunder der Natur staunend wahrnehmen: Das Rauschen des Baches und das Zwitschern der Vögel. Was besonders beeindruckt: Vom ersten Tag an begleitet mich der Ruf des Kuckuck. Sobald ich Städte und Dörfer hinter mir gelassen habe und der Camino von lärmenden Straßen in ruhige Waldwege einbog, hörte ich den Ruf des Kuckucks wie eine verlässliche Begleitmusik zum Klick meiner Wanderstöcke und wie die Zusage Gottes: Nur Mut, ich geh’ mit dir!


Der Pilgerweg, auf dem einige meiner Wegbegleiter viele Wochen schon unterwegs sind, ist zugleich wie ein guter Lehrer: In welchem Takt muss ich gehen, um nicht außer Atem zu geraten, auch wenn es steil bergauf geht wie auf dem Wegabschnitt zum Wallfahrtsort O Cebreiro? Welche Distanz kann ich heute zurücklegen, ohne die Füße zu beschädigen? Wie sollte ich auf dem Weg gestimmt sein, um die mir jetzt angebotenen Schätze von Natur und einer jahrhundertealten Kultur angemessen wahrzunehmen und zu würdigen?
Nicht zuletzt lockt der Weg, dem gelben Pfeil konsequent zu folgen, an den Zahlen der Meilensteine am Weg die immer mehr dahin schwindende Distanz abzulesen und das Ziel des Pilgerweges nicht aus dem Blick zu verlieren. Das unterscheidet Pilger von Vagabunden.

Vom Wert der Gastfreundschaft

Was wäre Pilgern ohne die Herbergen. Sie bilden gleichsam die Rückseite dieser Bewegung, sie bieten Aufnahme für die Nacht und stehen zur Seite, wenn jemand unterwegs erkrankt oder verunglückt. Herbergen gibt es in kommunaler oder kirchlicher Trägerschaft, werden privat betrieben oder von Vereinen. Ungezählte Menschen engagieren sich in Herbergen: als Herbergseltern, als Freiwillige (Hospitaleros/Hospitaleras), als kommunale oder private Angestellte, und als Ordensleute und Priester. Auf meinem Pilgerweg bin ich durchweg freundlich und zuvorkommend aufgenommen worden. Bin noch gab es Unterschiede: Besonders gern denke ich an die Herbergen zurück, wo ich die Gastfreundschaft in besonderer Weise erlebt habe und spürte: Hier bin ich willkommen. Der Empfang mit einem Glas Zitronenwasser nach einem mühsamen Bergaufstieg, die Einladung zum „5-o-Clock-Tea“, um sich als Gäste einander vorzustellen, oder die herzliche Begrüßung durch Hospitalero Pepe in der Herberge des Benediktinerklosters San Julián in Samos. Pilgerherbergen sind Kulturträger der Gastfreundschaft. Ihre Kultur wurde nicht zuletzt prägend für die Hospizbewegung und die stationären Hospize in unserem Land. 

Für eine synodale Kirche

Synode, synodale Prozesse und Synodalität haben Konjunktur, von vielen in der Kirche werden sie verwendet. Bei uns im Bistum Trier gab es eine Diözesansynode (2013-2016), aufgrund des sexuellen Missbrauchs und Machtmissbrauch ist die deutsche Kirche zu einem Synodalen Weg aufgebrochen, und Papst Franziskus lädt für Herbst 2023 zur nächsten Bischofssynode nach Rom ein. Ihm steht eine Synodale Kirche vor Augen, gemeinschaftlich, partizipativ und missionarisch. Auf meinem Pilgerweg habe ich ausreichend Zeit, auch die Anliegen unserer Kirche, von vor Ort in den Gruppen, Verbänden und Gemeinden sowie den Pfarreien und Pastoralen Räumen im Bistum Trier, auf deutscher, europäischer und Welt-Ebene vor Gott zu tragen und unsere Kirche wie auch die Geschwister der Ökumene ins Gebet zu schließen. Mehr als einmal habe ich mir bei meinen Geh-Beten gedacht: Was würde passieren, wenn noch viel mehr Christinnen und Christen derartige Erfahrungen machen könnten, wie sie mir auf diesem Weg vergönnt sind und geschenkt werden?!